Lernende Organisation? Lernende Welt! – 3. Lineares Denken – die überholte Waffe des Homo sapiens
von Claudia WeyrautherJa, was ist passiert?
Bleiben wir noch ein wenig in der jüngeren Altsteinzeit: Wollte Homo sapiens überleben, musste er potenziell bedrohliche Ereignisse vorweg nehmen können. Er musste beobachten, Ursache-Wirkungs-Verknüpfungen herstellen und das lernen, was wir seit Aristoteles unter Induktion verstehen: aus wiederkehrenden Ereignissen allgemeine Gesetzmäßigkeiten folgern. Die „Geburt“ des linearen Denkens und Lernens, der Wissenschaften.
Seitdem haben wir diese Form des Denkens perfektioniert und in der Tat: Sie hat uns nicht schlecht weit gebracht, vor allem aber auch unsere immer lauernde Urangst des Ausgeliefertseins, des Nichtkontrollieren-Könnens in Schach gehalten. So sehr, dass wir es uns im Laufe unserer Geschichte leisten konnten, neben der Sicherheit immer unverhohlener auch von ihrer „Bedürfnis-Schwester“, der Freiheit, zu träumen und sie anzustreben.
Aber sie ist noch – oder wieder, bewusster? – da, die Angst vor fehlender Sicherheit.
Wir durften uns gnadenvoll zumindest eine Weile der Überzeugung hingeben, den ultimativen Schlüssel für den Umgang mit dem Leben gefunden zu haben. Nun stellen wir fest: Wir stecken fest. Zunehmend überfordert von seinem unaufhörlichen Zusammenraffen von Bergen von Wissen über Gesetzmäßigkeiten und dem Ausbau des (Selbst-)Optimierungsmethoden-Arsenals und dem beständigen Gefühl, dennoch nicht „anzukommen“. Verwenden wir noch den richtigen Schlüssel?
Bereits seit der Antike weiß eine kleine intellektuelle Elite: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Im Gegensatz zu Ciceros Zeiten prägt diese Erkenntnis inzwischen das Lebensgefühl vieler von uns. Und wir sind stolz auf unseren reflektierenden Intellekt. Zum einen. Zum anderen halten wir diese Erkenntnis und ihre emotionalen Auswirkungen vermutlich weniger aus, als alle Generationen vor uns. Reagieren zynisch, altklug oder verbittert oder klammern uns eben an unsere alten Weggefährten „Linearer Denker“ und „Faktensammler“ um Herr der Lage zu bleiben – und arbeiten uns daran ab.
Homo Sapiens ist erschöpft.
Auch im Zwischenmenschlichen. Statt den Anderen ganzheitlich und intuitiv zu erfassen, suchen wir laut Eva Illouz, israelische Soziologin, im digitalen Zeitalter nach Romantik, indem wir mit Hilfe von Listen einzelner, abstrakt definierter Charakter- und Geschmackseigenschaften unsere Identitäten selbstgesteuert schaffen und einander darüber zu verstehen und lieben versuchen. AbgeSICHERte Liebe.
Sisyphos.
Aber haben wir Erbarmen. In Bezug auf unseren „Lebens-Schlüssel“ befinden wir uns an einem für uns als „reife“ Denker verunsichernden Entwicklungspunkt: dem des bewussten Nichtwissens.
Und wir ahnen (unbewusstes Wissen) zunehmend die Wahrheit einer alten Weisheit: Das Ganze ist mehr als seine Einzelteile.
Mehr (vom bisherigen linearen Denken) ist nicht mehr.
3 Kommentare
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[…] An den letzten dieser Wege, lineares Denken, klammern sich unser Urinstinkte mit aller Macht. [Link] […]