Als verunsichernd, anstrengend, provozierend kann er empfunden werden, der konstruktive Irritierer. Aber notwendig ist er, notwendig ist er. Verunsichernd, weil er nicht selten auf etwas hinweist, was wir bisher nicht sehen konnten, oder wollten, oder nicht konnten weil wir nicht wollten. Anstrengend, weil das, was er gesät hat uns oft nicht mehr loslässt – oder er selbst nicht locker lässt. Provozierend, weil seine scheinbare Autonomie von gängigen Sichtweisen unsere eigene in Frage stellt.
Bestenfalls ist ein äußerer konstruktiver Irritierer ein absichts- und vorwurfsloser, glaubwürdig wohlwollender Weiser, dem wir deshalb aufmerksam und ohne größeren inneren Widerstand zuhören und vielleicht, vielleicht, das von ihm Gesagte an uns heranlassen, und vielleicht damit beginnen, uns auf den Weg in eine Veränderung aufmachen.
Schlimmstenfalls ist er einfach nur ein Irritierer, ohne konstruktiv, ein sturer, penetranter, unsensibler Besserwisser, auf den wir gar nicht achten, was weiß denn der!
Im Übrigen verhält es sich mit unseren „eingebauten“ inneren Irritierern – unserer Wahrnehmung, unserer Empathie, unsere Intuition und unseren Gefühlen wie Scham oder schlechtem Gewissen, unseren Werten, Motiven, Wünschen und Zielen etc. – nicht anders.
Bestenfalls wäre natürlich am besten, aber schlechter geht auch, denn wir brauchen ihn: Den äußeren und inneren Irritierer, die uns aufrüttelt. Denn wir können und sollten gar nicht alles wahrnehmen, annehmen. Das würde uns umbringen. Wir müssen sogar das meiste NICHT wahrnehmen. Und das, was wir wahrnehmen, vor allem an uns selbst, bauen wir uns so zusammen, dass daraus ein stimmiges und vor allem vorteilhaftes, zumindest aber erträgliches Ganzes entsteht. Zum Beispiel unser Selbstbild. Und das ist harte Arbeit. Die wollen wir uns doch nicht zunichtemachen lassen! Wir sind evolutionär auf das Festhalten solcher günstiger Zustände getrimmt. Dafür mobilisieren wir alles, was wir haben.
Jedoch: Aus systemischer Sicht, in Anbetracht der heutigen dynamischen VUCA-Welt (VUCA = volatil, uncertain, complex, ambigious), sind wir sowieso in besonderem Maße herausgefordert, eine Balance zu finden zwischen „sicherer Zustand“ und fortlaufender Adaptabilität. Vereinfachungen und Blindheit können wir uns nicht leisten. Denn in einer solchen Welt führen Vereinfachungen und Blindheit zu unsachgerechten oder gar katastrophal Entscheidungen und Handlungen. Das gilt für Individuen genauso wie für Gruppen und Organisationen.
Solange wir uns aber schützen und in einer Bewahrer- und Abwehrhaltung verharren, bleiben wir blind oder vereinfachen wir. Denn dann stellen wir uns manche Fragen erst gar nicht, sie würden unsere Aufmerksamkeit auf etwas lenken, was wir nicht sehen wollen. Unser Bewusstsein lässt das nicht zu. Wo aber Bewusstsein auf Bewusstlosigkeit trifft, gibt es keine Resonanz und keine Veränderung.
Der KONSTRUKTIVE Irritierer kann potenziell solche Resonanz erzeugen, uns dabei helfen, unsere innere Starrheit zu überwinden und damit Veränderungen auslösen für die Anpassung an eine sich, wohlgemerkt, unaufhaltsam verändernde, Welt. Auch wenn er zunächst abgelehnt wird. Denn seine Hinweise, Beobachtungen, Anregungen empfinden wir nicht selten als kränkend, als Gefahr für unsere – nicht selten fragilen – mentalen Konstrukte.
Interessanterweise wehrt der heutige Mensch aber nicht nur ab, er fordert „Irritation“, Rückmeldung sogar zunehmend ein, er will bewusst Veränderungen und ich glaube, das hat verschiedene Gründe, von denen ich hier nur drei erwähnen möchte.
– Zum einen ist der Mensch schon immer neu- und lerngierig und verspielt.
– Zum anderen hat er entdeckt, dass sich eben gerade deswegen NEUES gut verkaufen lässt. Nicht umsonst feiert der Begriff „Innovation“ heute Siege.
– Den letzten, aus meiner Sicht möglichen, Grund formuliere ich mal vorsichtig als Frage (denn es scheint gegenwärtig auch eine starke Gegenbewegung zu geben): Fühlt sich der Mensch vielleicht innerlich und äußerlich heute doch sicherer als wir glauben?
Letztlich kennen wir uns alle aus mit Irritierern, leben täglich mit ihnen, seien es unsere Kinder, unsere Vorgesetzte, unsere Kunden, unsere Ehepartner, unser Gewissen, unsere Scham, die Umsatzzahlen, die Mitarbeiterfluktion ….Die Welt ist voller irritierender Rückmelder. KONSTRUKTIVE Irritierer gibt es leider viel zu selten. Was das ist, ist letztlich auch subjektiv. Denn seine verwundbaren Stellen hat jeder wo anders. Aber wenn wir verstehen, was uns am Irritierer und seinen Botschaften irritiert und warum, ob wir die Dinge nur so

Zeichnung von Pablo Picasso
oder auch so

Logomark von Colin Snyder
annehmen und verstehen können, dann sind wir schon ein ganzes Stück weiter in der „fruchtbaren“ Zusammenarbeit mit ihm.
Denn, mit M. Lennartz gesprochen: Irritation fördert Innovation (im Sinne von Veränderungsanpassung), konstruktive Irritierer sind Evolutionsbeschleuniger.
Heißen wir sie also willkommen.
1 Kommentar
add yoursSchön, dass Sie sich mal an das Thema herangewagt haben, denn im Allgemeinen wird der konstruktive Irritierer gern als Störenfried angesehen und dementsprechend nicht gehört. Doch gerade diese konstruktiven Irritierer sind und waren es, die Prozesse hinterfragen und Verbesserungen bei der intersolzialen Kommunkation ermöglichen. Weil man sich (oder andere) selbst hinterfragen kann und damit oft Klarheit in festgefahrene Strukturen und Verhaltensweisen bringt, die dann eine Veränderung, sprich Verbesserung der Strukturen ermöglichen. Danke für den Artikel.